Wie kommt der Hund zum Stiefel Teil 1 (Sardinien)                                                                 

  • oder zwischen Ovis musimon, Podarcis tiliguerta und sus scofa meridionales liegt die Insel Canis lupus familiaris

     

Reisebericht von Alex Mey

Italien 2018 – Teil 1 – Sardinien

Mit ca. 1,6 Mio. Einwohner und einer Fläche von ca. 24 Tsd km² bleibt der politisch Italien zugehörigen Insel noch genug Freifläche für eine ausgewogene Vielfalt für die Welt der Flora und Fauna. Tausende von seltenen Tieren und Pflanzen stehen hier auf dem schwimmenden Naturreservat unter Naturschutz. Unter anderem das Mufflon (lat.Ovis musimon ), die thyrrenische Mauereidechse (Podarcis tiliguerta) und das Wildschwein (sus scofa meridionales) zu denen ich im Laufe des Berichtes noch einmal zurück komme. Doch diese Reise wird für uns noch andere Abenteuer und Geschöpfe dieser Erde bereitstellen. Folgt uns in die geheimnisvolle Welt der Sarden, der ökologischen Vielfalt dieser Insel und dem Zusammenleben der uns bekannten Caniden in Italien.

 

Die Reise beginnt...

 

Ca. 2 ½ Stunden Flug liegt vor mir, von Düsseldorf über Belgien, Schweiz, die Alpen und übers Mittelmeer nach Olbia. Während des Landefluges auf den im nördlichen Teil der Insel liegenden Flughafen kommen mir die vielen Schlagzeilen der sardischen Hunde in den Kopf, Tierschutzorganisationen, die sich mit dieser Thematik beschäftigen und eine Zeile, die ich vor einigen Tagen gelesen habe

„Italiener haben Angst vor streunenden Hunden“. Schlagzeilen, die es wert sind, überprüft zu werden. Dieser Urlaub wird nicht nur für Entspannung sorgen, sondern ich werde mich auch auf Spurensuche der einheimischen Hunde begeben.

 

 

Mit den ersten Worten auf Italienisch „Buongiorno“ begrüßte uns der Flugkapitän noch vor dem Aussteigen und dieses Wort wird ab sofort zu meinem täglichen Gebrauch werden. „Buongiorno“ am Service Center der Autovermietung, „Buongiorno“ im Office meiner Übernachtung. Später folgten dann noch Wörter wie „Buonasera“ für „guten Abend“, „Il conto, per favore“ für die „Rechnung,bitte“ und „Grazie“ für das einfache aber gut gemeinte „Danke“.

Mein Appartement liegt nahe des Strandes Salina Bamba. Salina Bamba erstreckt sich entlang eines der schönsten Küstenabschnitte des Nordosten Sardiniens. Er liegt zwischen Cala Brandinchi und Baia Salinedda im Gebiet Capo Coda Cavallo und zählt zur Gemeinde San Teodoro. Direkt dahinter befindet sich ein Salzwassersee, auf den der Name dieses Strandes zurückgeht.

 

Auf dem Weg zur Unterkunft begegnet mir der erste Hund, ein Mix aus Jagdhund und anderen Rassen. Mit meinem mittlerweile geschulten Blick - dank Gerd Schuster und seine abenteuerliche Reise und Berichterstattung über die Balkanhunde - erkennen ich schnell, dass es sich hierbei nicht um einen Straßenhund handelt, sondern einem Haushund, der, wie so oft in ländlichen Regionen frei nach Schnauze lebt.

 

Ich bewohne ein kleines Ferienappartement, kleine Küche, kleines Bad und eine Matratze, die es in sich hat (wortwörtlich). Man bemerkt sofort, dass ich mich weit außerhalb der Feriensaison befinde, es ist still, kaum ein Mensch begegnet mir und wich höre das Plätschern der Wellen am Strand schon von weitem. Bereits am Ankunftstag mache ich mich auf, die nähere Umgebung zu erkunden. Kaum 150 Meter entlang Richtung Spiaggia di Punta Est begegnen mir die ersten tierischen Einwohner, sie huschen schnell von Stein zu Stein um noch den Rest der Spätsonnenstrahlen zu erhaschen, die Podarcis tiliguerta ( thyrrenische Mauereidechse).

Durch die Bäume blitzt immer wieder ein gigantischer Berg auf, den ich schon auf der Autofahrt zu der Ferienwohnung beobachten konnten, die Insel Tavolara mit dem aus weißem Dolomit Kalkstein bestehenden Berg Punta Cannone, diese Erhebung wird mich auf meiner weiteren Reise noch öfter begegnen.

Kurz vor Ende der Straße kann ich die Isola Tavolara in ihrer vollen Pracht bewundern und hielt kurz inne um tief durchzuatmen, den Augenblick zu genießen um dann den Heimweg anzutreten.

 

Meine erste Nacht lässt mich live miterleben, das ich mich nicht im verwöhnten, gewohnten und meteorologisch mittelständigem Zuhause befinde, sondern in einem Land mit eigenen Sitten, eigenen Standards und besonderen eigenem ganz speziellem Wetter. Das Bett quietscht, die Matratze faltet sich zusammen, die Nachbarn werden endlich wach (so ab 23 Uhr) und ein Unwetter blitzt und knallt im Sekundentakt übers Haus. Die Nacht schenkt mir somit knapp 2 Stunden Schlaf.

 

 

Nun erst mal duschen in einer knapp 60*60cm großen Kabine und frühstücken. Da ich mich zur Selbstversorgung entschieden habe gab es Kaffee, Müsli, Brot und gute Laune.

 

Ich mache mich auf zur großen Insel Erkundung und beginne mit der Besteigung des Capo Figari.

Der Naturpark Capo Figari, der auch die kleine Felsinsel von Isola di Figarolo umfasst, liegt an der Spitze der Halbinsel von Golfo Aranci. Über ein einfaches Gatter zugänglich, lockt das über 850 Hektar große Felskap mit senkrecht abfallenden Kalkfelsen, kleinen Buchten und Stränden mit Wanderwegen und Trails für Mountainbike-Fahrer. Gleich am Eingang des Parks sind einige alte Kalköfen zu sehen, in denen bis in die 1950-er Jahre Baukalk gebrannt wurde. Die Anlagen wurden stillgelegt, nachdem der Abbau sich nicht mehr gerechnet hat.

Nach einer kleinen Orientierungspause am Wegesrand bewegen sich plötzlich neben mir ein paar Büsche und kurz darauf kommt es zum Vorschein: ein kleines, etwas orientierungsloses sus scofa meridionales (Wildschwein), kaum entdeckt lief es auch schon über den Weg ins Dickicht gegenüber.

 

Auf der Spitze des Berges bestaune ich ein altes Weltkriegs-Fort mit alten und neueren Wandmalereien, einer kleinen heiligen Madonna Gebetsstätte und vom gegenüberliegendem Marine-Funkstützpunkt kann ich den ganzen Nordosten Sardiniens von La Maddalena bis zum Capo Cerraso erblicken. Bei klarem Wetter kann man von dort aus auch Korsika sehen, leider habe ich damit heute kein Glück.

 

Nun folgt der atemberaubende Abstieg, der es wahrlich in sich hat. Laut meinem Plan soll rechts am Hauptweg ein schmaler Pfad den Rundweg unserer Route abschließen. Mit viel Fantasie erkenne ich einen Weg, dem ich folge. Zwischen Dornen, Abhängen und Ästen, die teilweise verbrannt aussehen, besteige ich den fußbreiten Weg hinab. Teilweise muss ich mich auf meinem Hinterteil herunterrutschen lassen oder von Stein zu Stein hüpfen, um anschließend in einer Sackgasse zu landen. Auf den Hauptweg angekommen sehe ich die Nachwehen der letzten starken Regenzeit. Tiefe weggespülte Furchen machen den Weg zu einem Abenteuertrip, mal nach rechts springen, mal nach links und immer auf der Hut sein, nicht in die Tiefe der Furche zu fallen. Am Ende des Weges entdecke ich eine der alten Baukalkanlagen, geschmückt mit einem großen Abfuhrförderband und einem alten, rostigen Lastkraftwagen, bei dem ich wiederum die Fantasie schweifen lassen, warum bei der Schließung der Anlage auch ein LKW stehen geblieben ist?

Am Strand Cala Moresca mache ich eine kleine Pause, beobachte die Wellen, die an die Steine knallen und schaue hinüber zur Nachbarinsel Isola de Figarolo. Am Parkplatz angekommen zeigt mir mein dürftiges Tierspurenwissen noch ein paar Trittsiegel von mehreren Schalenpaaren und Paaren von Afterklauen... sowie aufgewühlte Bodenflächen... hier trabte wohl mehr als nur ein Wildschwein durch.

 

Wie am Anfang der Reise bereits erwähnt, ist dieser Urlaub kein klassischer Erholungsurlaub, sondern die Möglichkeit Tiere in freier Natur zu beobachten und vor allem die freilebenden Katzen und Hunde. So ist das primäre Ziel an diesem Tag nicht die Erkundung des Naturreservates, sondern die Beobachtung freilebender Hunde. Durch meine Recherchen habe ich herausgefunden, dass zwischen Olbia und dem Golfo Aranci ein Ort namens Cabu Abbas liegt. Laut der Seite einer Tierschutzorganisation befinden sich in diesem Ort ein größeres Rudel Hunde, diesem gehe ich auf dem Grund.

Ich brauche nicht lange, um die Hunde zu finden, die ersten kommen mir bereits am Ortseingang entgegen. Es handelt sich um Maremmano (italienische Hirtenhunde) oder Maremmano – Mixe.

Zwei dieser Hunde sind sehr zutraulich, ohne zögern kommen sie näher und beschnuppern mich ausgiebig. Der dritte ist anfangs noch sehr unsicher kommt dann aber auch. Ich stelle das Auto an der Kreuzung der Straße ab und laufe zu Fuß die kleine Straße in Richtung Kapelle.

Dort erblicke ich ein etwas größeres Exemplar dieser Gruppe, verschwindet dann aber sehr schnell in einem Gebüsch. Ich schaue mich um und entdecken ca. 30 Meter von der Kapelle entfernt einen Platz am Ende eines kleinen Abhanges, der wie ein Liegeplatz aussieht. Plattgedrückte Wiese im Radius von ca. 3-5 Metern, ein paar Essensdosen und andere Verpackungen von Nahrungsmitteln. Beim näheren Betrachten erkennen ich Pfotenabdrücke im Sand und Bissspuren an den Dosen. Hier scheinen sich die Hunde aufzuhalten. Ich umkreise diese Stelle großräumig, um weitere Spuren zu finden. Plötzlich wird es unruhig und einer der Hunde rennt schnell die Straße hinauf. Ich laufe zurück zum Auto und folge dem Hund im sicheren Abstand. Nach einigen hundert Metern erkenne ich in der Ferne noch weitere Hunde, beim näher kommen zähle ich noch weitere vier in der Nähe eines kleinen Hofes. Es kommen zwei Menschen aus dem Haus und ich stelle fest, das die Hunde zu diesen Menschen ein scheinbar vertrautes Verhältnis haben. Im Bericht der Tierschutzorganisation stand etwas von Einheimischen, die sich liebevoll um diese Hunde kümmern, es scheint, als ob ich mit diesem Besuch auch diese tierlieben Einheimischen kennenlernen darf.

 

 

Ein neuer Tag ein neues Abenteuer.

Ich begebe mich heute in die 70iger...eine Reise ins Valle dela luna

Das Valle della Luna gehört zu den offenen Geheimnissen von Capo Testa. Kein Schild führt in das Tal auf dem Felskap bei Santa Teresa, in dem es spektakuläre Gesteinsformen und zum Teil bearbeitete Granitblöcke aus der Römerzeit zu entdecken gibt. Das Tal war in den 70-er Jahren europaweit als Tal der Hippies bekannt. Auch heute noch wohnen einige Blumenkinder in den Höhlen und zwischen Felsen des Tals. Mir begegnen Überresten der

Flower-Power-Zeit, der Leichtigkeit des Seins, geologischen Meisterwerken der Erde und den unendlichen Weiten des Meeres. Der Weg führt über einen langen engen Sandweg zwischen Felsen und seltenen Pflanzen zu einer Holzskulptur oder eher einem kunterbuntem Marterpfahl. Allein durch diesen Anblick dieser Staue überkommt mich ein wohlwollendes Gefühl, es ist wie ein Schlüssel zur Zeitmaschine. In unmittelbarer Nähe haben sich junge Leute mit ihren Hunden niedergelassen. Sie campen unter den Felsvorsprüngen, in Höhlen und Zelten. Meist die ganzen Sommermonate genießen sie diesen kulturellen und mysteriösen Ort. Ich entdecke 3 Hunde, die scheinbar keiner sardischen Hunderasse angehören, frei herumlaufend oder liegend um einem Lagerplatz verweilen. Eine junge mit alten Laken bekleidete Frau kratzt in einem alten Kochtopf, welcher kurz zuvor über der offenen Feuerstelle erwärmt wurde, die letzten Essensreste heraus und einer der Hunde hilft ihr dabei.

Ich fühle mich tatsächlich in einer anderen Zeit versetzt, ich fühle mich gerade frei, unbefangen und sehr glücklich. Auch die Hunde scheinen sich hier sehr wohl zu fühlen in der Obhut der einheimischen Besucher.

 

Zwischen den Felsenformen entdecke ich einen Rippenläufer - auch Schlange genannt - und kurz darauf wieder viele Felsenechsen. Eine spannende Klettertour liegt vor mir. Mit festem Schuhwerk kann man sich zwischen, unter und über den Felsen hervorragend bewegen und sich den Kindheitsaktivitäten wieder nähern. Entlang dieser Steinwege entdecke ich immer wieder kleine Höhlen, die mit Decken, Töpfen und Feuerstellen ausgestattet sind. Hinauf zum Mondturm, einem kleinen Turm, schwer zu beklettern, von dem man einen sehr luftigen Blick zur französischen Nachbarinsel Korsika erhält.

Wie unbeschwert das Leben sein kann zeigt mir dieser Ort, so selbstverständlich und sorgenfrei kann ein Leben mit den Hunden und anderen Tieren sein.

 

 

Die Welt auf Sardinien ist so vielfältig; Kilometerlange Strände, mehrere über 1000-er Berge, historische Gebäude, geschichtliche Landschaften, Ruinen, Grotten und vieles mehr.

 

Heute entscheide ich mich für einen der vielen 1000-er Berge. Der Weg führt heute zu dem 1127 Meter hohen Berg „Monte Catirina“ Eine der schönsten Routen im südlichen Teil des Monte Albo über die einsame Hochebene Su Campu ´e Susu und dann hinauf zum Aussichtsgipfel Punta Catirina. „Der Farbwechsel zwischen weißem Kalkstein, grünen Eichwäldern und gelb blühender Macchia macht den besonderen Reiz dieser Runde aus...“. So der Text in meinem Wanderreisebuch, doch mich erwartet dort oben eine andere Überraschung...

 

Von meiner Unterkunft fahre ich Richtung Nuoro über San Teodoro, Budoni und Siniscola, biege dort ab und fahre die Nebenstraßen über Guzzorra in Richtung Lula. Die Straßen führen über gefährliche enge Schlangenlinien den Hang hinauf. Kurz vor dem Ziel an einer der letzten Kurven sichte ich am Straßenrand ein Maremmano – Mix, zumindest sieht er so aus. Innerhalb kurzen Sekunden erkenne ich, dass er kein Halsband trägt und wohl nicht ganz gesund ist. Sein Fell ist matt mit offenen Hautstellen, sein Kopf gesenkt, er scheint auch sein linkes Hinterbein nachzuziehen. Leider habe ich keine Möglichkeit hier an dieser Stelle zu parken, um nach ihm zu sehen, die nächste mögliche Parkbucht kommt erst nach ca. 2 Kilometer. Ich hoffe, dass er ein sicheres Plätzchen findet und fahre mit einigen komischen Gedanken im Kopf weiter.

 

Angekommen am Wanderparkplatz bleibe ich noch kurz im Auto und denken an diesen armen Kerl.

Es zieht Nebel auf, ich sehe hinauf in Richtung Spitze des Berges, die ich durch die Nebelbank nicht mehr erkennen, schnüre den Rucksack auf und folge den ausgeschilderten Weg. Es folgt ein steiler enger Geröllsteinweg, der nach regelmäßigen Abständen entweder durch einen roten Punkt am Wegesrand oder einem Turm aus Steinen gekennzeichnet wird. Der Weg wird steiler, anfangs noch als Allee mit kleinen Bäumen umrandet, nun als reiner Steinplattenweg. Der Nebel wird dichter. Kaum 10 Meter Sichtfeld. Kälte, Wind und Nebel schmücken dieses Abenteuer, jeder Schritt wird zu einem Schritt ins Ungewisse, dennoch motiviert mich das Ziel weiter zu laufen.

 

Ich singe laut und tanze etwas damit mir warm bleibt und ich auf andere Gedanken komme. Dies ist wohl der schwierigste Wanderweg, den ich bisher erzwungen habe. Für die knapp 1200 Höhenmeter benötige ich zum Schluss etwa 3 Stunden. Oben angekommen, eingehüllt im tiefen Nebel, sehen ich die Puta Catirina, einen Aussichtspunkt gekennzeichnet mit einem in einem Steinberg eingepflanzten Holzpfahl. Es ist totenstill, kein Vogelgezwitscher, keine aus der Ferne klingelnde Ziegenglocken, kein Huschen von Echsen oder anderen Kleintieren. Bis auf meine eigenen Stimme und den Wind höre ich oben keinen einzigen Ton. Auch wenn mir heute die Aussicht über den Monte Albo verwehrt wird, diese mystische Stimmung, die ich hier erlebe, kann mir keiner mehr nehmen.

 

Nach einer kurzen Pause laufe ich den geplanten Rundwanderweg weiter, hinab ins Tal, vorbei an Geröllsteinen, außergewöhnlichen Pflanzen und Ziegenberge. Die steilen und steinigen Bergwände lassen mich wie eine kleine Ameise wirken, die unendliche Weite und Höhe dieser Berge ist atemberaubend. Von weiten höre ich endlich wieder ein paar Ziegenglocken und gelegentlich das Meckern der Ziegen, die irgendwo in den steinigen Felswänden ihre Sommerzeit verbringen. Ich erreiche wieder festen Boden unter meinen Füßen, ein Zucken in den Beinen, um sich an die „normalen“ Wege wieder zu gewöhnen. Ich laufe die Straßen entlang und komme an eine Wegkreuzung.

 

Wie aus der Stille geschossen kommt mir Hundegebell entgegen. Ich schrecke auf, beginne umgehend damit mich zu orientieren und entdecke eine eingezäunte Schafherde. Nach genauerem Hinsehen auch die vier Hütehunde. Einer begrüßt mich mit einem lauten Alarmbellen, ein weiterer liegt ruhig außerhalb des Zaunes auf dem Weg und fixiert mich fast drohend, der dritte steht in Mitten der Herde und der vierte, den ich erst für ein Lamm halte, entpuppt sich als Welpe. Ich betrachte in einem sicheren Abstand diese Konstellation. Weit und breit kein Schäfer zu sehen, nur die Hunde. Es sieht aus als würde der Junghund hier in der Ausbildung als Hirtenhund stehen. Immer wieder schaut er seine großen Artgenossen an, mimt diese nach, setzt sich und beobachtet weiter. Ein bewundernswertes natürliches Schauspiel... ohne Eingriff der Menschenhand.

 

Die knapp 10 Kilometer bezwinge ich mit Höhen und Tiefen und dem seltenen Anblick von natürlichem animalischen Verhalten in guten 4.5 Stunden. Ich nehme für den Rückweg die Straße auf der ich auf dem Hinweg den Hund am Straßenrand sah, in der Hoffnung, dass ich ihn noch mal sehe, leider erfolglos.

Auf dem Rückweg besuche ich noch die kleine Stadt Sinoscola. Die knapp 12.000 Seelenstadt in der Provinz Nuoro an der Ostküste der italienischen Region Sardiniens ist Teil der historischen Region Baronia, dessen Namensherkunft von 2 Baronen aus dem 15. Jahrhundert stammt. Das historische Baronia gehört mit seinen langen weißen Stränden, Küstenwege und der historischen Altstadt zu den beliebtesten, wenn nicht gar der beliebteste Ferienort auf Sardinien.

 

Auch wenn viel über diesen Ort berichtet wurde, mich beeindruckt Sinoscola wenig, so fahre ich recht schnell weiter. Wie der Zufall es will, habe ich die Auffahrt zur Autobahn verpasst und fahre auf einer Straße parallel zur Autobahn in Richtung San Teodoro zurück und genau dort werde ich erneut fündig.

 

Aus der Ferne kommt mir etwas weißes auf der Straße entgegen, ich drosseln die Geschwindigkeit und entdeckte, dass es sich hierbei um ein freilaufenden Hund handelt. Ich halte, steige aus und es dauert nicht lange, da kommt er mir schon entgegen. Menschenscheu scheint dieser Hund nicht zu sein. Ich überlege, ob der Hund vom Hof stammt vor dem ich halte, obwohl ich zweifel - er hat kein Halsband oder andere Markierungen, er hat ein paar felllose Stellen, die auf Ausschlag, Milbenbefall oder ähnliches hindeuten. Ich gebe ihm ein paar meiner Tarallis (Salzstangenähnliches Gebäck), die er nach kurzem Zögern zu sich nimmt.

 

Ein paar Streicheleinheiten, ein paar präzise Blicke über seinen Körper und ich fahre weiter. Kurz darauf entdecke ich einen weiteren Hund, der aus einer Hofeinfahrt kommt. Kleiner Körper, kurze Beine, lange Schnauze, er ähnelt einem Jack Russel Terrier. Dieser kommt aber nicht näher als 25 Meter an mich heran und verschwindet recht schnell in den naheliegenden Wald. Langsam, in der Hoffnung weitere Hunde zu entdecken, folge ich der Straße, doch dies sind wohl die einzigen Exemplare, die ich heute sehen werden.

Ja, es gibt einige wenige Straßenhunde. Ja, sie sehen teilweise hilfebedürftig aus, sie sehen teilweise krank und unterernährt aus, ob hier Menschenhand dazu beigetragen hat lässt sich nicht sagen.

Ich fahre heim und entspanne mich nach der langen Tour.

 

 

Ein nächster Tag, ein nächstes Abenteuer....

Da das Wetter heute recht warm ist beschließe ich, mich in näherer Umgebung meines Ortes aufzuhalten.

Nur wenige Kilometer von Olbia entfernt liegen zwei archäologische Sehenswürdigkeiten, zwischen denen zeitlich Welten liegen: Su Monte 'e S'Ape, ein Massengrab der Nuraghenkultur sowie Castello Pedres, ein Wehrkastell aus dem Mittelalter. Diese Orten werden heute meine Tagesziele werden. Ich fahre daher Richtung Olbia und biege links in die SP87 (einer der vielen merkwürdigen Straßenbezeichnungen auf Sardinen) über Sanalvó, Ich folge der SS131 in Richtung Trudda und komme nach weiteren 12 Kilometer am Ziel an. Auf dem letzten Feldwegstück entdecke ich ein Schild, welches ich später noch mal genauer inspiziere möchte – „Canile Europa“ steht auf dem Schild.

 

Die archäologische Welt lässt mich verzaubern, Castello Pedres ist mit der Zeit nur noch durch eine lange, hohe, steinige Treppe zu erreichen doch oben angekommen hat man einen unbeschreiblichen Ausblick. Im Süden liegen die sanften Felder von Loiri, im Westen ragt das gewaltige Limbara-Massiv seine Spitzen in den Himmel und im Osten hat man einen wunderbaren Blick auf Olbia, den Hafen und den Flugplatz von Olbia Costa Smeralda.

 

Die Grabstätte Su Monte 'e S'Ape, einer der größten pränuraghischen Kultanlagen Sardiniens zählt europaweit zu den spätesten Megalithanlagen. Die 321 bekannten Gigantengräber sind Monumente der bronzezeitlichen Bonnanaro-Kultur (2.200-1.600 v. Chr.), die Vorläuferkultur der Nuraghenkultur ist. Auf den Gräbern huschen immer wieder Eidechsen und Spinnen umher und geben diesem Ort eine weitere mystische Note. Noch bevor ich wieder am Auto angekommen bin höre ich Hundegebell vom Tal her. Es scheinen eine Menge Hunde zu sein, ich denke sofort an das Schild von vorhin, das Canile. Zielstrebig nehme ich Kurs drauf zu. Ich halte unbemerkt außerhalb des Sichtfeldes, um meine neugierigen Blicke zu verbergen. Neben dieser Einrichtung liegt ein großer Hof auf dem ein freilaufender hirtenhundähnlicher Hund im Sonnenschein liegt und beobachtet. Mit der Zoomfunktion meiner Kamera lese ich das Schild, es handelt sich in der Tat um ein Tierheim mit Pensionsbetrieb. Ich möchte mir dieses näher ansehen und steige aus dem Auto, laufe an dieser Einrichtung unbemerkt vorbei und erhasche über der Mauer einen flüchtigen aber präzisen Einblick. Mehrere Hunde in ca. 3 mal 5 Meter großen Zwingern liefen aufgeregt, teilweise heulend und bellend hin und her. Die Hunde scheinen aber trotz der Aufregung und des kleinen Platzes im Zwinger in einem gesunden und wohlernährtem Zustand zu sein. Auch die Zwinger sahen gepflegt und sauber aus. Ich überlege, ob dies der Pensionsteil dieser Einrichtung ist und der Tierheimteil wird im hinteren uneinsichtigeren Teil verborgen, dies ist nur meine misstrauische Vermutung, die durch schnelle Internetrecherche untermauert wird. Ich gehe zurück zum Auto, doch es geschieht etwas, womit ich nicht gerechnet habe. Der Hofhund vom Nachbarhaus rennt eilig über den ca. 150 Meter langen Hof zum Tor. Ich hatte eigentlich in Erinnerung, dass dieses Tor unüberwindbar verschlossen wäre, zu meinem Schrecken ist es nicht so und der Hund steht plötzlich auf der Straße. Mir kommt ein kurzer Schrecken in die Knie doch dieser verfliegt, als ich erkenne, dass der Hund ein anderes Ziel verfolgt, nämlich den auf einem kleinen Hügel provozierend stehenden Nachbarhund hinter einem hohen Zaun. Dieses Spiel beobachte ich eine ganze Weile und filme auch einige Szenen dieser Kommunikation zwischen den beiden Hunden.

 

Nach wenigen Minuten gegenseitigem provozieren und klarstellen der Territorien lassen die beide Hunde von einander ab. Der Hofhund dreht sich zu mir und kommt zielstrebig auf mich zu. Seine Körpersprache verrät mir aber, dass er nichts böses im Schilde führt, so teile ich ihm mit wohlwollenden Gesten mit, dass auch ich nichts böses von ihm will. Schließlich schmiegt er sich mit seinem Körper an mir und lässt sich ausgiebig streicheln. Ich erkenne unter dem sehr verfilztem und ungepflegten Fell ein scheinbar recht jungen agilen Hund, der sich zur Aufgabe gemacht hat, regelmäßig den Nachbarshund zu verbellen und Autos zu jagen.

 

Aus Spaß an der Freude ohne ein Anzeichen von bösem Willen. Der neugierige und verspielte Canide verbringt eine ganze Weile bei mir. Jedes vorbeifahrende Auto wird verbellt und gejagt und anschließend zur Belohnung eine Streicheleinheit von mir abgeholt.

 

Das Leben sardischer Hirten war hart und entbehrungsreich. Wochenlang allein mit ihrer Herde in den Hochtälern unterwegs, mussten sie sich kreativ mit den natürlichen Gegebenheiten arrangieren. Der Monte Limbara ist das höchste Gebirgsmassiv im Norden Sardiniens. Die beiden kahlen Granitgipfel Punta Balistreri (1363 m) und Punta sa Berritta (1359 m) sind von weitem sichtbar. Die Hänge des Monte-Limbara-Massivs sind fast bis zum Gipfel mit Kastanien, Stieleichen, Pinien, Kiefern und Tannen bewaldet. In diesem Hochgebirge befinden sich zahlreiche sogenannte „le Grottes“: unter massiven Felsspalten und Granitsteinen befinden sich Höhlen und Grotten, die von den sardischen Hirten teilweise immer noch genutzt werden.

 

Ein weiterer Tag meiner Reise und somit eine der letzten Wanderungen auf Sardinen folgt heute dem Weg der Hirten und hinauf zu den „le Grottes“.

 

Ca. 60 Kilometer westlich von Olbia über Priatu und Luras in dem kleinen Ort Vallicciola finde ich den Start – Parkplatz. Das klare Ziel vor Augen bei traumhaftem, spätsommerlich warmem Wetter beginne ich den Anstieg des recht gut ausgebauten Wanderweges. Ein Schädel mit Hörnern eines sardischen Rindes empfängt mich an der ersten Weggabelung. Da ich ein begeisterter Knochensammler bin, reizt mich dieser Schädel, doch zur Mitnahme ist dieses Exemplar doch zu groß und auffällig. Am Ende dieser Tour darf ich dennoch einen gefundenen Knochen, den Oberschenkel eines Rindes, zu meinem Eigentum zählen.

Überraschend sind die verwirrenden Straßenverkehrszeichen wie „Überholen verboten“ auf einem knapp 2 Meter breiten, mit tiefen Furchen durchzogenen Gebirgsweg und das „LKW Durchfahrtsverbotsschild“. Allein die Tatsache, dass man ohne Kratzer am Lack und Absturzgefahr mit dem LKW hier sowieso nicht durchkommt. Fehlt nur noch eine Bushaltestelle...

Geräusche und Gerüche, die ich nur selten oder gar nie wahrgenommen habe überfluten mich während dieser Wanderung. Immer der Gedanke, einem unbekanntem wilden Tier aus den Wäldern zu begegnen oder Pflanzen zu entdecken, die mich, wie die Adamsfrucht, zu Sünden verführt. Doch dies bleiben nur Gespenster meiner Fantasie. Die ersten Höhlen, die mir begegnen haben etwas von Steinzeit- oder Eiszeitalter. Höhlen die durch zusätzliche Lehmmauern winddicht geschützt wurden, Feuerstellen, Wohnräume und Schlafnischen...einfach...sehr einfach gehalten. Ich begegne an einer alten Quelle 2 deutschen Wanderern, die mit ihrem Wohnmobil schon bereits seit über 6 Wochen durch Sardinien reisen. Nach der 6. „le Grotte“, etwas Hunger im Bauch und einem Wechsel zwischen schweißgebadeten Anziehsachen und frösteln in kalter Bergluft mache ich mich weiter auf zum Gipfel der Punta di li Cupuneddi. Den kleinen Abstecher zum Feuerbeobachtungshäuschen, der nur über schmale Steinstufen besteigbar ist, lasse ich mir nicht entgehen. Von dort oben schweift mein Blick noch mal zur Küste bei Olbia und zum Monte Pino, den man nicht weit entfernt in westlicher Richtung erkennen kann.

Die letzten Kilometer verlaufen ohne besonderen Eindrücke und Emotionen, bis auf die Beschreibung meines Reiseführers mit den Worten...“Am Rande des Plateaus erwartet uns ein herrlicher Ausblick über die Gallura...“ was ich sehe sind nebelbedeckte Baumstümpfe und ein Sichtfeld von ca. 20 Metern. „Herrlich“ ist daher sehr ausbaufähig.

Mit einem zweiten detailierten Blick auf den Rinderschädel erreiche ich das Auto und fahre wieder heim.

 

 

Das Ende meiner Reise steht vor der Tür, wehmütig packe ich meine Koffer und verabschiede uns mit einer Flasche sardischem Biermix am Strand der Unterkunft. Ich erinnere uns an die steilen Berge, an die vielen Hunde, die ich getroffen habe, die langen weißen Strände, all die anderen Tiere, die ich auf jeder meiner Tour entdecken durfte und an all die abenteuerlichen Wanderungen, die wich unternommen habe und beschließe, diesen Ort noch einmal zu besuchen.

 

Fazit dieser Reise:

Erholung auf ganz besondere Art und Weise. Abgesehen von den abenteuerlichen Unternehmungen und atemberaubenden Eindrücke möchte ich im Fazit dieser Reise noch ein - zwei Sätze zu meinem „fast“ primären Ziel schreiben.

Das Ziel war es die Wahrheit über die Schlagzeile „Die Italiener haben Angst vor streunende Hunde“ zu finden. Ich habe die Insel gute 10 Tage lang besucht, konnte den ein oder anderen Italiener und einige Hunde kennenlernen, ich sahe kranke Hunde, habe Hunde kennengelernt, die auf sich selbst angewiesen waren, ich sah Hunde, die verwahrlost waren, aber auch junge agile Hunde, die ihrem Hobby nachgingen. Wich sah verantwortungsvolle Menschen, die sich freilebende Hunde angenommen haben und sich um diese fürsorglich kümmerten. Doch was ich in dieser Zeit nicht sah, waren Einwohner, die eine Abneigung gegenüber den Hunden zeigten, weder Angst, noch Abscheu, noch Hass. Ich habe Menschen gesehen, die eine ganz andere Einwirkung auf die Caniden haben, nämlich eher natürlich und artgerecht. Hunde sind Geschöpfe dieser Erde, wie Menschen und die vielen Millionen anderen Wesen. Jedes dieser Wesen hat eine besondere Aufgabe. Leider hat es sich so entwickelt, dass viele Menschen es sich zu Eigen gemacht haben, über andere Wesen herrschaftlich zu bestimmen, anstatt sie so zu akzeptieren, wie sie uns von der Natur geschenkt wurden. Auf Sardinen konnte ich keinen Menschen finden, der sich unnatürlich abgeneigt gegenüber den Hunden verhalten hat und somit widerlege ich die Schlagzeile, das Italiener Angst vor freilaufenden Hunden haben. Hier ist wieder zu erkennen, dass die Wortwahl einer Schlagzeile viel zu allgemein gehalten wird. Ich streite nicht ab, dass es Italiener gibt, die Angst vor Hunden haben, genauso, wie ein paar Deutsche auch Angst vor Hunden haben. In dieser Wortwahl wird aber wie so oft eine ganze Nation verkannt und verurteilt.... Bitte achtet die Menschen genauso wie die anderen Geschöpfe dieser Welt und verurteilt niemanden, dessen Artgenosse aus der Norm fällt.

 

Der zweite Teil meiner Italien Erfahrung folgt bald.

In diesem Sinne

 

Fallo bene e a presto